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Das Schicksal der Flurdenkmale im Laufe der Geschichte

Der Bildersturm der Reformation fegte in vielen Regionen alle diese sichtbaren Zeichen des Volksglaubens hinweg. Der Schweizer Gelehrte Johannes Kessler berichtet in seinen „Sabbata“, einer Chronik der Jahre 1523 - 1539, aus seiner Heimat: „Gleich darauf fieng man an, alle bilder und bildstock, so hin und her auf den Straßen under den baumen, in den huseren uffgerich ung angenagelt, zerrissen, abbrechen und zerstören“.

Aber dann, mit der bewussten Manifestation des katholischen Glaubens während der Gegenreformation und im Verlaufe des 17. Jahrhunderts, im Zeitalter des Barocks, kam es zu einem nicht mehr wiederholbaren Höhepunkt, so dass man mit Recht von einer „geistlichen Landschaft“ sprechen konnte.

Mirakelberichte und Votivtafeln erreichten einen besonders bildkräftigen Ausdruck. „Es ist verständlich, dass die Aufklärer daran Anstoß nahmen, Missbräuche und Aberglauben anprangerten und die Entfernung dieser, unnützen Bildstöcke forderten, wie etwa der Salzburger Fürstenerzbischof Hieronymus Graf von Colloredo.“

Die Ideen der Aufklärung, die - aus England und Frankreich kommend - zuerst im protestantischen Teil Deutschlands Eingang gefunden hatten, begannen sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts auch in den katholischen Ländern durchzusetzen. Rationalismus und erwachendes Selbstbewusstsein ließen den Menschen nicht mehr in allen Fällen leiblicher Not nach Gott und seinen himmlischen Helfern rufen, sondern mehr und mehr in Naturwissenschaft, Medizin und Technik Hilfe suchen. Die Zuständigkeit der Kirche und der Religion wurde zunehmend auf die Belange der Seele eingeschränkt. Der Glaube an die Vernunft verdrängte den Glauben an Wunder und Mirakel. Die neuen Ideen erreichten allerdings nur die Oberschicht; vor allem das Bürgertum, aber auch weite Kreise des Adels und der hohen Geistlichkeit. Sie konnten nur dort Fuß fassen, wo ein gewisser Bildungstand gegeben war. Das größtenteils ungebildete einfache Volk und in besonderem Masse die Landbevölkerung waren dafür nicht aufnahmebereit. Ihnen wurde die Aufklärung erst nach und nach von der Obrigkeit gewissermaßen auf dem Verwaltungswege verordnet und teilweise mit Gewalt aufgezwungen. Die Maßnahmen der aufgeklärten Regierungen richteten sich dabei in erster Linie gegen jene Erscheinungen der Volksfrömmigkeit, die dem Vernunftglauben widersprachen, und dem vom Staat erstrebten wirtschaftlichen Fortschritt im Wege standen. An diesen Aufklärungsmaßnahmen waren der hohe Klerus und die geistlichen Landesherren selbst maßgeblich beteiligt. Die Kirche, die genüber den vielfälltigen Äußerungen der Volksfrömmigkeit seit je eigene eher kritischen Standpunkt eingenommen hatte, bemühte sich, die ausufernde Heiligenverehrung und den unkritischen Wunderglauben des Volkes einzudämmen, sie wandte sich gegen die fetischistische Anbetung der Gnadenbilder, und sie versuchte, das religiöse Brauchtum von abergläubischen Vorstellungen und magischen Praktiken zu befreien.

Im Zuge dieser Staatsreformen des frühen 19. Jahrhunderts erging auch in Bayern der Befehl, dass alle Feldkapellen, Marterln und Bildstöcke abzubrechen seien. Viele Wallfahrtskirchen wurden aufgelöst und nur durch die Anhänglichkeit der Bauern gerettet. Mit diesen „Reformen“ sollte auch jenes religiöse Brauchtum ausgelöscht werden, dem viele Flurdenkmale entspringen.

Durch Zwangsmassnahmen allein aber hätte sich das religiöse Leben des Volkes nicht wesentlich verändern lassen. Die Bevölkerung hielt mit solcher Zähigkeit an ihren altüberkommenen Bräuchen fest, dass die Verbote in der Zeit der Restauration und nach dem Regierungsantritt von Ludwig I. in Bayern im Jahr 1825 zum großen Teil wieder aufgehoben wurden. Dass sich die bäuerliche Kultur dennoch mehr und mehr aus ihrer religiösen Verankerung löste, dafür waren andere Maßnahmen verantwortlich: Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht, die Gründung von landwirtschaftlichen Akademien und Tierarznei-Schulen, die Einführung der Kartoffel und anderer weniger witterungsanfälliger Feldfrüchte, die Verbesserung der Gesundheitspflege und der Bodenkultur, die Aufwertung der sozialen Stellung der Kleinbauern und andere Neuerungen, die die Existenzgrundlagen und die Lebenschancen der Bevölkerung verbesserten, die ein rationalistischeres Weltverständnis förderten, und die das System der religiösen Sicherungen nach und nach überflüssig machten. Natürlich war das ein langwieriger Prozess, und gerade auf dem Land hielten sich die alten Formen eigenständiger barocker Volksfrömmigkeit noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.

Glaube und Frömmigkeit wurden jedoch zunehmend ihres äusserlichen Beiwerks und ihrer bildhaften Attribute entkleidet. Auch die Flurdenkmale des 19. Jahrhunderts wirken im Vergleich zu den älteren eher stereotyp und unpersönlich. Denn gerade der Hang zur Äusserlichkeit, die Bildhaftigkeit des Glaubens, die Naivität der frommen Gesinnung und die existenzielle Verbundenheit der Bauern mit ihren Nothelfern hatten auch die alten Flurdenkmale und die Geschichten, die sie erzählen, so lebendig gemacht.