„Beispiel“
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Geisterfahrer unterwegs

Im Winter vor langer Zeit.

vom Buschn-Hans

Sicher haben sie diese Durchsage im Verkehrsfunk schon mal gehört: „Auf der A sowieso kommt ihnen zwischen den Anschlussstellen X und Y ein Fahrzeug entgegen! Fahren sie ...“ und so weiter. Nun, Anfang der 1950er Jahre, in denen die folgende Geschichte geschah, da gab es so eine Warnung im Radio noch nicht. Und wenn, dann wäre sie auf jeden Fall zu spät gekommen, denn die Ereignisse spielten sich in wenigen Sekunden ab. Ganz abgesehen davon, dass die Kohlberger Dorfstraße zum Eichelbach hinunter natürlich keine Autobahn ist, sondern nur: „'n Rammertool oii“, also den Rammental runter, genannt wird.

Damals waren - zumindest in der Erinnerung - weitaus längere Winter mit viel mehr Schnee. Die Straße auch noch nicht geteert, sondern eine lehmige Trasse mit vielen eingedrückten Fahrspuren, „Loisn“ genannt. Zwischendurch immer wieder beinhart gefrorene Dreckshäufchen drauf, also „aag'fräierte Rampern“ und nicht wenige Schlaglöcher dazwischen. Bei Schneefall wurde sie auch nicht freigesalzen, sondern es fuhr lediglich ein hölzerner Schneepflug entlang. Von einem Pferd gezogen, schob er in schlingernden Wellenlinien die weiße Pracht grob zur Seite, der Rest wurde dann vom geringen Verkehr fast spiegelglatt festgefahren. Für uns Kinder vom unteren Markt war das eine tolle Schlittenbahn.

Vom Startplatz, dem „Binnerrangel“ aus, wo auch heute noch ein uralter Kastanienbaum steht, konnte man fast die ganze Rennbahn einsehen. So wussten wir immer, dass kein Auto oder Lkw entgegenkam, wenn wir auf der linken Straßenseite dem „Oichlbooch“ entgegen bretterten. Bis auf ein kurzes Stück gleich am Ende des Rangerls bei der Einfahrt in die Straße, denn da versperrte für einen Moment die gemauerte Auffahrt zum „Buschn-Anwesen“ die Sicht. Weiter unten dann konnten wir auf den „Roiih“, also zum Straßenrand hin ausweichen, wenn es denn mal nötig war. Mit bis zu acht Schlitten wartete unsere Kinderbande oben am Rangerl auf das Kommando: „Bahn frei … aachtung … fertiig … los!“ Dann wurde ein paar Meter Anlauf genommen, sich bäuchlings auf die Sitzlatten der Schlitten geworfen und abwärts ging es! Am Rand zur Straße kratzten die Stiefelspitzen hart im Schnee, um die Linkskurve zu kriegen. Wer als erster in Bachnähe stoppte, warf die Arme in die Luft und schrie lauthals: „Siiegeer!“ So weit, so gut.

Nun war bei uns früher der Winter auch die Zeit für Holztransporte. Entweder als Bau- oder Grubenholz vom Wald in die Sägewerke oder nach Hause zum Kleinschneiden für das Herdfeuer. Das erledigte etliche Jahre lang der Hampl-Franz mit seinen vier Kaltblutpferden. Große, tonnenschwere Tiere waren das, wie man sie heute nur noch bei Reiterprozessionen oder dem Oktoberfest zu sehen kriegt. Rösser mit Beinen dick wie Baumstämme, viel Kraft, aber auch „lammfromm“ wie die Fuhrleute sagen. Und mit denen war der Franz eines Tages wieder unterwegs. Paarweise eingespannt den Rammental aufwärts, gerade das Buschn-Häusl passierend. Die Kinder warteten, bis er am Rangerl vorbei war. Nur einer nicht, das „Buschn-Hanserl“.

Er war der jüngste der Bande, damals schon „aa weng wampert“ und noch nie Sieger bei den Wettfahrten gewesen. Aber heute könnte es klappen, wenn er gleich vor den anderen losfuhr! Ein paar Schritte Anlauf und schon lag er auf seinem kleinen Schlittenrutscherl. Das: „Haalt … haalt“ der Kameraden hörte er nicht mehr! Der Hampl-Franz unten auf der Straße sah den kleinen Fratz gerade noch für den Teil einer Sekunde, stieß ein scharfes: „Brrrr“ aus und die vier Rösser standen sofort wie angewurzelt. Genau entlang der Deichsel schlitterte das Hanserl vorbei an sechzehn Beinen, unter dem Zuggeschirr plus zwei Achsen durch und nach den tief herabhängenden Baumstämmen aus dem Fuhrwerk hinten wieder heraus. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn nur eines der Pferde scheu geworden und mit den Beinen ausgeschlagen hätte!

Dem Franz war der Schrecken so in die Knie gefahren, dass er sich am hölzernen Wagenrad festhalten musste. Mit einem lauten, heißeren „Haa … haa“ versuchte er, den Adrenalinstoß in seinem Körper abzubauen. Und noch zwei, dreimal hörten die Gäule das „Haa“. Dann drehten sich vier Hälse nach dem Fuhrmann um, acht dunkle Augen schauten ihn fragend an, denn dieses Kommando kannten die Pferde nicht. Es brauchte noch etliche tiefe Atemzüge, bis der Franz sich bekreuzigte und mit einem unendlich erleichterten: „Gott-sei-Dank“, das gerade Erlebte abschloss. Dann hörten die Ohren seiner Rösser ein warmes, geradezu liebevolles „Hüü“ und zogen brav das schwere Fuhrwerk wieder an. Die Kinder vom unteren Markt saßen noch eine ganze Zeit wie versteinert auf ihren Schlitten. Das Buschn-Hanserl von damals ist heute ein alter Mann, der noch an manche Dummheiten seines Lebens denkt, in der sein Schutzengel viel zu tun hatte.

geisterfahrer
Denkt man an die trüben Weihnachtstage heuer, dann mutet so ein Winterbild an, wie ein Märchen, wo es am Anfang immer heißt: „Es war einmal“. Diese Aufnahme des Buschn-Anwesens entstand vor 1953.



Autor und Fotos: Buschn-Hans
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