Kohlbergs rätselhafte Unterwelt
Autor: Buschn-Hans
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„In der Geschichte unserer Heimat ist noch längst nicht alles erforscht und geklärt“. Mit diesen Worten beginnt ein Aufsatz, in welchem der legendäre Dr. Ernst Gagel im Jahre 1969 die rätselhaften Gangsysteme im Kohlberger Marktbereich beschreibt (Sondernummer der ‚Arnika‘ zur 40. Jahreshauptversammlung des OWV-Hauptvereins 1969 in Kohlberg). Damals war der örtliche Zweigverein gerade mal 7 Jahre ‚jung‘. Nächstes Jahr wird das 40jährige des ‚OWV Kohlberg und Umgebung‘ im entsprechenden Rahmen gefeiert werden.
Man weiß in Kohlberg natürlich einiges von den unterirdischen Gängen aber halt nichts Genaues. Da bleibt dann für die Phantasie viel Spielraum und die reicht bis zu ‚kilometerlangen‘ Stollensystemen. Relativ sicher ist, daß etwa ab dem ‚Prechtl-Schmied‘ am oberen Markt bis zum evangelischen Pfarrhaus am Fuchsberg und runter im unteren Markt bis zum Kiesler-Hof diese Gangsysteme bestanden. Sie sollen komplett miteinander verbunden gewesen sein. Diese ‚Röhren‘ sind am Einstieg lediglich um die 1,20 Meter hoch und etwa 80 Zentimeter breit. Sie führen mit deutlichen Windungen durch das leicht mürbe Granitgestein. Man kann also immer nur einige Meter weit in die Stollen sehen. Ausgänge und Abzweigungen münden in den teilweise mehrere ‚Stockwerke‘ übereinander liegenden Kellern der Höfe. Über den Zweck und ihre Erbauer kann auch heute nur gerätselt werden.
Ein erheblicher Teil der Gangsysteme wurde im Zuge der Kanalisation, Wasserleitungs- und Straßenbauarbeiten der letzten Jahrzehnte zugeschüttet und vernichtet. Auch haben die Hofbesitzer wohl etliche Eingänge aus Sicherheitsgründen verschlossen. Was heute noch besteht, ist zum größten Teil ‚abgesoffen‘, also mit Wasser gefüllt und eben auch nicht mehr bekannt. Nachdem sich Wasser ja in Hohlräumen sammelt und wohl mehrere Gänge immer noch miteinander verbunden sind, ist völlig unklar, wieviele Kubikmeter ‚Wasserreserve‘ in den Systemen lagert und welche statischen (und evtl. auch sonstigen) Auswirkungen auf die darüber stehenden Gebäude bestehen. Wir kommen da später nochmal darauf. Soviel zur Historie und den derzeitigen Kenntnisstand.
Daß von vielen Kohlbergern schon mal versucht wurde, in die Gänge vorzudringen, ist wohl klar. Einer dieser ‚Versuche‘ wurde im Januar vor einigen Jahren unternommen. Er soll hier geschildert werden. Vorausschicken möchte ich, daß mir der Vorgang von den Beteiligten unabhängig voneinander in etwa wie folgt geschildert wurde. Direkter Augenzeuge war ich nur zu Beginn der Unternehmung.
Zuerst zu den ‚handelnden‘ Personen. Da sind Peter und Markus, zwei damals etwa 17jährige Burschen, die auf so ein dunkles Abenteuer ‚scharf‘ waren. Dann Walter, der Wirt vom ‚Schleglstüberl‘, einem netten kleinen Wirtshaus auf der Westseite des Marktplatzes. Hauptperson der Geschichte ist jedoch ein gewisser Richard. Knapp 60 Jahre jung, kernig, lustig, unternehmungslustig und ein Typ, den so leicht nichts umhaut. Oder wie man bei uns sagt: „Den graust so leicht vor nix!“ Obwohl schon etliche Jahrzehnte in der schönen Oberpfalz ansässig, hat er seinen niederbayrischen Dialekt nie abgelegt. Er ist ehrlich, geradlinig, erfinderisch und hilfsbereit sowieso. Wenn unsereins vor lauter Problemen bei einer Aufgabe schon längst verzagt, sieht er darin nur eine zusätzliche Herausforderung. Und vor sowas kapituliert er nicht. Aus jahrelanger Erfahrung kommt der Richard öfter mal auch mit ‚unkonventionellen‘ Lösungen zu erstaunlichen Erfolgen. Obwohl mehr so ein ‚Hau-ruck-Typ‘, vergißt er jedoch keinesfalls in der Anlauf-Phase von Projekten jede nur denkbare Abweichungsmöglichkeit vom vorgesehenen Ablauf und ‚Tücke des Objekts‘ weitestgehend zu berücksichtigen. Spätestens am Schluß dieser Geschichte sollte erkennbar werden, daß die Vorab-Nennung aller positiven Eigenschaften dieses ‚Pioniermenschen‘ - bei der ‚Gangerforschung‘ sowie den weiteren Vorhaben - erforderlich war.
Jetzt aber zum Vorgang an sich. Peter und Markus lagen mir in den Ohren, wo denn so ein unterirdischer Gang sei und ob man... und so weiter. Beim Sonntag-Abend-Bierchen im ‚Schlegl-Stüberl‘ brachte ich das Gespräch darauf. Richard war auch mit am runden Stammtisch. „Jo freili, sowos muaß ma si doch amoi aschaugn“, höre ich ihn noch heute. Walter, der Wirt ließ dann die ‚Bombe platzen‘. „Ja, vo uns dou untern Haus mou á so á Gang sá. Dou wor i scho jouerlang nimmer drunt, ower so á kloiner Eingang is dou. Eine bin i ner ámal á Schtickl, weil er fast ganz o`gsuffá is“. Daß wir uns den Gang - am nächsten Samstag – ansehen wollten, das war klar. Da war ich dann aber, wie gesagt, nicht dabei.
Zufällig zusammengetroffen bin ich mit unserem ‚Helden‘ einige Tage danach in Weiden beim Ankerkomplex. Richard hatte als ‚Gesichtsschmuck‘ ein deutliches blaues Auge. „So á richig schejns Veicherl“, wie wir sagen. „Houst du heier scho mit dein Wei Haushaltsverhandlungen gföiert“, wollte ich wissen. Das war hundsgemein, da seine Frau eine wirklich liebe und verträgliche Person ist. „Naa, luuaß zua, wos i dir vozöih“, kam als Antwort. Die darauf folgende ‚Gschicht‘ habe ich mir von den anderen ‚Gangerkundern‘ noch mehrmals erzählen lassen, bevor ich sie glaubte.
Walter, Peter, Markus und Richard räumten an besagtem Januar-Samstag im unteren Keller des ‚Schlegl-Stüberls‘ erst mal das kleine Eingangsloch zu dem Schacht frei. Drei, vier Stufen führten hinunter zu einem Stollen von dann etwa 1,80 Meter Höhe und einem Meter Breite. Gut zwei Drittel davon waren mit (saukaltem) Wasser gefüllt. Etwa 10 Meter weit konnte man im Schein der Taschenlampen in den sich leicht senkenden Gang sehen. Dann kam eine Krümmung nach rechts. Kurz davor in der leicht gewölbten Gangdecke eine kaum zu erkennende Aushöhlung nach oben. Gleich rechts vom Eingang ein mit losen Feldsteinen zugefüllter Abzweig in Richtung des Krauß-Wohnhauses. Um in den Gang weiter eindringen zu können, wären zumindest ‚Anglerhosen‘ bis über die Hüften erforderlich gewesen. Auch Auspumpen scheiterte an den Möglichkeiten. „Wort’s amoi, i kumm baal wieda“, meinte der Richard zu dieser ‚Herausforderung‘.
Mitgebracht von zu Hause hat er dann ein ‚Wasserfahrzeug‘ unkonventioneller Bauart, mit welchem er „einfuhr“, wie die Bergleute sagen. Es bestand aus den auseinandergesägten zwei Hälften eines 200-Liter-Plasticfasses als ‚Schwimmkörper‘. Ein paar Zentimeter unter den Öffnungen waren in die Plastic-Teile auf beiden gegenüber liegenden Seiten schmale Schlitze reingesägt. Die halben Fässer dienten ihm sonst als Futtertröge für seine Gänse, die Schlitze als Tragegriffe. Mit dabei hatte er auch einige dünne, längere Bretter, welche gerade noch durch die Schlitze passten. Er schob sie durch beide ‚Grifföffnungen‘ der ersten Fasshälfte und noch etwa 30 Zentimeter weiter. Das zweite ‚halbe Faß‘ wurde von der anderen Seite auf die Bretter geschoben. Wenn sich Richard sachte auf die Bretter legte, dann trugen die etwa 1,50 Meter voneinander entfernten ‚Plastic-Schwimmer‘ gerade mal so sein Gewicht und konnten – aufgrund der durch die ‚Griffe‘ geschobenen Bretter - nicht nach vorne oder hinten wegkippen. Genial, was? Seitliches Kentern in dem engen Gang war zu vermeiden, indem er sich mit den Ellbogen an den Seiten abstützte. Vorwärts ziehen konnte er sich mit den Fingern an den Gangwänden.
Beim ersten ‚Stapellauf‘ schlug aber – im wahrsten Sinne - die ‚Tücke des Objekts‘ zu. Das Fahrzeug war bereits im Wasser, Richard legte sich eben vorsichtig drauf. Beide Kniee schon auf den Brettern, eine Hand stützte sich im vorderen Halbfaß auf die hölzerne Unterlage, als diese überraschend durchbrach. Durch das Gewicht seines Oberkörpers schnellte das außen überstehende Brett-Stück nach oben, während Richards ‚Oberteil‘ in Richtung Faßboden knallte. So auf halbem Wege haben sich dann Brett und Auge ‚geküsst‘. Die anderen Teilnehmer der ‚Expedition‘ hörten nach dem Brettl-„Knacks“ nur noch einen längeren, unverständlichen Ausdruck auf ‚Altbayrisch‘.
Wenn Sie nun glauben, er hätte deshalb aufgegeben, dann irren Sie sich. Siehe oben bei: ‚zusätzliche Herausforderung‘. Richard kämpfte sich tapfer – trotz einem tränenden Auge – mit seinem Gefährt vorwärts. Die Delle an der Gangdecke erwies sich als ein – wieder verschlossener – Durchbruch in der Scheune vom Schlegl und nach der Rechts-Krümmung führte der Gang noch etliche Meter leicht abfallend weiter. Bis es einfach nicht mehr ging, weil der Wasserstand zu hoch, beziehungsweise der Luftraum zu niedrig wurde. Dort gab es dann das nächste Problem.
Stellen Sie sich doch mal vor, Sie würden auf dem schwankenden ‚Floß‘ liegen. Ihr Hinterkopf stößt an der Gangdecke an, das - vorgereckte - Kinn auf ein paar schmale Bretter gepreßt und knapp über sehr kaltem Wasser. Ein schmerzendes Auge haben Sie geschlossen, weil Sie sonst alles dreifach sehen und mit dem Mund halten Sie eine Taschenlampe fest. Dann merken Sie plötzlich, daß Sie Ihr ‚Gefährt‘ in dem engen Gang nicht mehr mit den Fingern zurückschieben können, weil die Griffrichtung ‚zruckwárts‘ nicht stimmt! Desweiteren müssen Sie ‚blind‘ fahren, da Sie die Strecke nach hinten mit der ‚Mundlampe‘ kaum ausleuchten können. Eine Schnur war zwar hinten am ‚Floß‘ befestigt, aber nur um die Fahrtstrecke zu messen. Zum ‚Rückholen‘ viel zu dünn. Richard hat es trotzdem geschafft! Dank seiner - oben geschilderten - positiven Eigenschaften!
Spätestens hier muß eindringlich vor allen ähnlichen ‚Ausflügen‘ gewarnt werden! Die Risiken für Leib und Leben der Teilnehmer sind nicht kalkulierbar. ‚Floßführer‘ Richard hat sich sein ‚Wasserfahrzeug‘ – aufgrund nicht ganz ausgereifter technischer Gegebenheiten – bisher auch noch nicht patentieren lassen.
Im darauffolgenden Sommer haben er und Walter, der Wirt das Gangende im steil abfallenden Garten hinter der Scheune gesucht und – nur leicht – geöffnet. Seitdem ruht die ‚Erkunderei‘. Richard plant und tüftelt derzeit noch, um alle eventuellen Abweichungsmöglichkeiten vom vorgesehenen Ablauf, sowie Tücken des Objekts möglichst auszuschalten. Man weiß ja nicht genau, wie es sich auf die Statik der darüber stehenden Gebäude auswirkt und was mit den Häusern im - unterhalb des Schlegl-Gartens liegenden – Ortsteil Froschau passiert, wenn sich eine unbekannte Anzahl Kubikmeter Wasser der miteinander verbundenen Gänge beim ‘Anstechen‘ des Schlegl-Ganges in Bewegung setzen sollte. Wie ich den Richard kenne, findet der für diese ‚Herausforderung‘ aber schon noch eine ‚unkonventionelle‘ Lösung!